Der Stadtrat soll die Klassengrösse bestimmen

Der Stadtrat muss das Budget auf der Basis der durchschnittlichen Zahl Schülerinnen und Schüler pro Schulklasse bestimmen. Und das Schulamt muss endlich lernen, wie der Kantonsbeitrag berechnet wird und was das für Auswirkungen hat.

Mit der Umwandlung in ein Postulat im Sinne des Verständnisses des Gemeinderates und der Schulkommissionen bin ich einverstanden. In diesem Sinne danke ich dem Gemeinderat für die ausführliche Antwort und bin überzeugt, dass die Festlegung einer Zielgrösse für die Schüler/innen-Zahlen während der Budgetdebatte eine gute Sache ist.

Wie wird also in Zukunft entschieden? Der Stadtrat beschliesst das Budget auf der Basis einer bestimmten Schüler/innen-Zahl pro Klasse. Im Frühjahr legt der Gemeinderat eine Klassenorganisation vor, die diese Zahl Schüler/innen pro Klasse realisiert. So kann verfahren werden, auch ohne Revision der Stadtordnung.

Was war denn problematisch am bisherigen Verfahren? Darauf habe ich bereits in meinem Votum vom 23.03.13 auf Seite 77 und 78 des Protokolls hingewiesen. Ich erkläre es konkret: Am 23. März haben wird mit dem Bericht über die Klassenorganisation (BE_20130003_Klassenorganisation_2013_130321) den Antrag des Gemeinderates bekommen:  Deutschsprachiger Kindergarten: Eröffnung einer Klasse. Französischsprachiger Kindergarten: Eröffnung einer Klasse. Deutschsprachige Primarstufe: Keine Änderung. Französischsprachige Primarstufe: Eröffnung von zwei Klassen. Und so weiter. Im Bericht erscheinen viele Kriterien ohne Gewichtung und Erklärungen, die einiges an Vertrauen verlangen, das wir auch gerne geben. Welcher Stadtrat kann unter diesen Umständen die vorgeschlagene Klassenorganisation ändern? Wer nimmt in Kauf, dass die Arbeit nochmals von vorne beginnt? Wer traut sich, die Klassenorganisation zurückzuweisen? Also stimmt der Stadtrat zu. Damit hat er auch gleich das Budget beschlossen in diesem Teil. Er darf also auch im Budget nichts mehr daran ändern.

Die Motion  (pra_rat_M_20130162_d_19.09.13) würde also den Stadtrat ermächtigen. Die Motion birgt die Gefahr für den Gemeinderat, dass der Stadtrat die Klassenorganisation wirklich beschliesst, weil er genau das beschliesst, was er mit gutem Gewissen beurteilen kann, nämlich die mittlere Zahl Schüler/innen pro Klasse. Ich bin froh, dass der Gemeinderat diesen Teil berücksichtigen will.

Warum ist das alles plötzlich anders als früher? Weil der neue Finanzausgleich Volksschulen (NFV) gilt: Der Kanton bezahlt 50% der Kosten der Schule direkt und 20% im Schnitt über alle Gemeinden als Beiträge pro Schüler. Deshalb kann die Gemeinde über die Anzahl Schüler pro Klasse die Kosten steuern. Das ist seit 2012 so. Der Kanton übernimmt 70% der Kosten, wenn die Schüler/innen-Zahlen im Durchschnitt des Kantons liegen. Die Kosten für den abteilungsweisen Unterricht werden gleich aufgeteilt.

Ist die Abschätzung des nötigen Zusatzunterrichts richtig? Nein, sie ist viel zu hoch. Der Verweis auf die Grundlagen des abteilungsweisen Unterrichtes ist richtig, die Ableitung der Kosten aber logisch falsch, was nahtlos zur nächsten Frage führt:

Was sollte uns stören? Was sollte alle Freunde der Bieler Schulen stören? Das Bild der Schule, das von der Schuldirektion gezeigt wird, ist auch in dieser Antwort fast vollständig defizitorientiert. Es werden wesentlich mehr Ressourcen pro Klasse zur Verfügung gestellt als noch in den 80er-Jahren. Die Lehrerinnen und Lehrer wurden in der Zwischenzeit ganz anders geschult und haben begonnen, wirklich die Erkenntnisse zu nutzen, die die Wissenschaft ihnen gibt. Sie haben heute eine längere Ausbildung, die sie viel stärker zur Reflexion zwingt und die systematischer und längere Praxisanteile hat. Praxislehrkräfte werden richtig entschädigt. Dafür bin ich massgeblich verantwortlich, weil ich als Schulrat der PHBern nämlich wollte, dass sie auch zur Ausbildung für diese Aufgabe verpflichtet werden und in den Berichten qualifizierte Urteile abzugeben. Liebe Stadträtinnen und Stadträte, wir haben eine Eins-A-Ausbildung und eine Eins-A-Schule. Traut doch den Lehrerinnen und Lehrern zu, dass sie ihre Arbeit können. Sie können mit 21 Schülerinnen und Schülern pro Klasse umgehen, sie können sich Hilfe holen und sie können mit die Aufgabe befriedigend erfüllen. Perfekt lösen kann man die Aufgabe nicht. Aber es ist ein ebenso schöner wie anstrengender Beruf. Stärken wir die Menschen und klären wir die Rahmenbedingungen. Trauen wir es ihnen zu, lassen wir sie arbeiten.

Mit der Umwandlung in ein Postulat bin ich einverstanden und bitte um Unterstützung des Wunsches der Schulkommissionen und des Antrags des Gemeinderates.

Grundlagen sind hier: http://test.cadetg.ch/2013/04/17/klassengrosse-als-rahmen-setzen-zumutbares-zeichen-verlasslicher-finanzpolitik/

Abschaffung der Stellen für besondere Massnahmen

Das hat seit langem System: wo sich etwas verändert, wird in der Stadt eine Koordinationsstelle geschaffen. Das unterstützt die Front nicht, das schwächt sie. In meinem Votum für die Motion zur Abschaffung der Stellen für besondere Massnahmen (pra_rat_M_20130080_d_19.09.13) wird erklärt, warum das so ist.

Die Abschaffung der Stellen für besondere Massnahmen stärkt die Menschen und klärt die Sachen.

Worum geht es? Um Integration. Integration ist in jedem Fall eine zweiseitige Angelegenheit. Es geht ums Aufnehmen und ums Anpassen. Integration von Schülerinnen und Schüler, die vor der Umsetzung des VSG Art. 17 noch in besonderen Klassen geschult wurden, verlangt von allen Beteiligten Anpassungsleistungen.

Wer steuert den Integrationsprozess in der Schule? Lehrerinnen und Lehrer. Lehrerinnen und Lehrer können beobachten, haben ein grosses Repertoire an Handlungsmöglichkeiten und lernen ihr ganzes Leben lang, was ihren Beruf ausmacht: Sie lernen Kinder zu bilden, zu erziehen und zu motivieren.

Warum sind wir uns über die Abschaffung nicht einig? Nun, wir gehen nicht alle vom gleichen Menschenbild aus. Ich stelle mir mein Gegenüber gerne als handlungsfähigen, verantwortungsbewussten und einsichtigen Menschen vor. Er macht genau wie ich Fehler und er denkt ähnlich wie ich, nur ein wenig anders. Er kann das, was ihm aufgetragen ist. Wenn er Hilfe braucht, holt er sie. Wenn er eine Spezialistin zur Seite gestellt bekommt, dann lernt er von ihr. Wenn er Erfahrungen macht, dann denkt er darüber nach.

Dieser Mensch, diese Lehrerin,  dieser Lehrer, übt eigenverantwortliches Handeln und ist erfüllt in der Arbeit, wenn sich eine Wirkung oder mindestens eine Erkenntnis einstellt.

Hinter der Art, wie die Integration nach Art. 17 VSG unter dem alten Direktor als administrativer, bürokratischer Akt geplant und durchgeführt wurde, steckt ein anderes Menschenbild. Das tönt dann etwa so: „Denen da vorne an der Front muss gezeigt werden, was sie zu tun haben. Die wissen nämlich nichts und wollen, dass sie an der Hand genommen werden, dass ihre Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden.“

Ich bin weit davon entfernt, dass ich sagen würde, dass es diesen Menschen nicht gibt. Also gibt es auch ganz sicher Lehrerinnen und Lehrer, denen gegenüber eine solche Haltung angebracht ist. Aber dazu, liebe Stadträtinnen und Stadträte, genau dazu haben wir die geleitete Schule eingeführt, genau deshalb bilden wir Schulleiter aus, genau dazu haben wir Qualitätssicherung in der Schule verlangt. Wir reagieren eben nicht nur mit Strukturen, sondern stärken die Menschen an der Front. Jetzt müssen wir uns zurückhalten, jetzt müssen wir sie arbeiten lassen.

Was heisst das jetzt konkret? Die überwiegende Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer kann das, was sie tut. Denen dürfen wir es zutrauen, denen müssen wir es zutrauen, die müssen wir durch unsere hohe Erwartung stärken. Sie brauchen keine Koordinationsstelle, weil die Schulleitungen das leisten können, man muss sie nur befähigen und ihre Arbeit tun lassen. Sie brauchen keine zusätzliche Führung, denn sie haben die Schulleitung. Sie brauchen keine Entwicklung, denn sie entwickeln die Schule selbst weiter mit denen an der Front, mit den Spezialistinnen und Spezialisten, die die Massnahmen durchführen. Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter sind ständig an der Arbeit, müssen sich ständig wieder auf die Höhe bringen. Reden wir ihnen nicht noch einmal hinein. Schaffen wir diese Stellen ab.

Ja, die zusätzlichen Ressourcen haben zugenommen. Erziehungsdirektor Pulver hat reagiert und die Mittel an die Front gegeben. Lassen wir sie dort und ziehen wir nicht zusätzliche Hierarchien und Matrixknoten ins ohnehin unüberschaubar dichte Netz. Diese zusätzlichen Bürokratien fressen die Ressourcen der Front. Lassen Sie es mich kurz an einem Beispiel zeigen: Wenn einer zu vier Beteiligten dazu kommt, dann braucht es vier weitere Kontakte. Vier weitere Kontakte, die Zeit brauchen, Zeit sich abzusprechen, kennen zu lernen, darzustellen, auseinanderzusetzen. So, und jetzt zeichnen Sie die ursprünglichen vier als Kreise auf ihr Blatt, verbinden Sie mit Gesprächslinien und zählen. Das gibt sechs Beziehungen. Einer mehr gibt 40% mehr Koordinationsaufwand. Und das Resultat wird durch die Menge nicht besser, im Gegenteil. Was wir anlässlich der Orientierung vom 9. September als Beispiele hörten, hat genau dies gezeigt. Stärken wir die Menschen, geben wir ihnen die Ressourcen, damit sie die Sachen klären können.

Oder wollen die an der Front die Hilfe? Da müssen wir unserem Urteil vertrauen und sie die Hilfe bei den dort vorhandenen Spezialistinnen und Spezialisten, bei erfahrenen Kolleginnen und Kollegen holen lassen. Was stärkt die Menschen? Die leistbare Herausforderung.

Oder geht es um Kontrolle? Dann rufe ich in die Reihe hinter mir: Vertrauen Sie der Front, trauen sie ihr zu, dass sie es kann, hören Sie auf mit dieser Angst vor dem Kontrollverlust, Herr Schuldirektor!

Liebe Ratskolleginnen und Ratskollegen, stärken Sie die Menschen und klären Sie die Rahmenbedingungen. Sprechen Sie sich aus für die reife Erwartung an die Schule, für das Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit, für die Motion.