Volksmotion für Ausländerinnen und Ausländer?

Der Bieler Stadtrat will Ausländerinnen und Ausländern den Zugang zu seiner Traktandenliste gewähren. Sie müssen nur ein Anliegen formulieren und in genügender Zahl unterschreiben, damit der Stadtrat darüber beraten muss. Warum das keine gute Idee ist und was den Rat trotzdem dafür begeistert hat.

Das Anliegen ist sympathisch: Einer Bevölkerungsgruppe ohne politische Rechte wird ein konkretes Recht zur Partizipation gegeben.

Bevor wir ein neues Instrument einführen, müssen wir einige Fragen stellen: Welches Ziel wird erreicht? Kann dieses Ziel durch vorhandene Instrumente auch erreicht werden? Gibt es Erfahrungen mit diesem neuen Instrument? Was hätte dieses Antragsrecht für Nebenwirkungen?

Das unmittelbare Ziel ist, dass sich der Stadtrat verbindlich mit Anliegen der nicht stimmberechtigten Bevölkerung befasst. Dieses Ziel kann sie auch erreichen, indem sie eine Stadträtin oder einen Stadtrat sucht, die oder der gewillt ist, diesen Vorstoss einzureichen. Damit gewinnt diese Gruppe dreifach: Erstens ist klar, wer den Vorstoss hier vertritt. Zweitens gibt es für diese Gruppe keine Mindestzahl. Drittens werden Ausländerinnen und Ausländer nicht bevorzugt. Wir müssen uns also nicht überlegen, in welchem Mass das Antragsrecht die Stimmberechtigung ausgleicht, ja ausgleichen soll.

Erfahrung mit diesem Instrument hat die Stadt Burgdorf seit mehreren Jahren. Es wurde nie benutzt. Könnte es sein, dass die Ausländerinnen und Ausländer zu einer Volksmotion motiviert werden müssten? Ist es möglich, dass die Motionärin daran denkt, diese Motivation zu leisten? Mit ihren Anliegen also die unterzeichnenden Ausländerinnen und Ausländer funktionalisieren? Hoffentlich und wahrscheinlich nicht.

Bleibt die Frage nach den Nebenwirkungen. Die ist schwierig zu beantworten, Nebenwirkungen sind selten. Drei lassen sich zumindest vermuten:

Erstens sind die Schweizerinnen und Schweizer benachteiligt, sie dürfen das nicht. Das wird auch nicht durch ihr Stimmrecht oder das Initiativrecht kompensiert. Eine Diskussion hier hat eine besondere Qualität und auch besondere Auswirkungen.

Zweitens kann das Instrument zu einer grossen Frustration der Unterzeichnenden führen, wenn es je dazu kommen sollte, dass sie partizipieren wollen. Es genügt eine Abstimmung in diesem Rat und das Anliegen ist vom Tisch.

Zum Dritten würde es einigen Aufwand für die Behandlung eines Vorstosses bedeuten, den jede Einwohnerin, jeder Einwohner von Biel auch einfach einem Stadtrat oder einer Stadträtin stecken könnte. Denn dafür ist der Rat hier gewählt: Dass er die Anliegen in der Stadt aufnimmt und in diesen Saal trägt.

Deshalb sollte der Vorstoss abgelehnt werden.

Verständlich ist, dass die Motionärin nicht nur das Instrument verlangt, sondern auch noch eine Marketingkampagne fahren will. Die müsste bei der grossen Zuwachsrate der ausländischen Wohnbevölkerung regelmässig wiederholt werden. Das ist für Volksrechte übertrieben. Am Anfang steht nämlich das Anliegen. Dann müssen für das Anliegen Verbündete gesucht und ein Weg zur Debatte gefunden werden. Das ist Aufgabe des Einzelnen, das ist sicher nicht Aufgabe der Gemeinde.

Der Stadtrat hat am 25.02.16 die Volksmotion als Postulat mit 24 zu 20 Stimmen überwiesen. Die Marketingkampagne wird mit etwa 23 zu 18 abgelehnt.

Die Begründung von Lena Frank:

Biel ist eine multikulturelle Stadt. 31.5% der Einwohnerinnen und Einwohner sind Ausländerinnen und Ausländer (Stand 31.12.2014). Über 140 Nationalitäten leben in Biel zusammen. Sie arbeiten, zahlen hier ihre Steuern und tragen wesentlich zur Vielfalt und zum Wohlstand der Stadt bei. Sie sind aber von der politischen Mitwirkung nach wie vor ausgeschlossen.
Mehrere Kantone unterstützen· die politische Teilhabe; indem sie für Ausländerinnen und Ausländer das Stimm- und Wahlrecht auf kommunaler bzw. kantonaler Ebene eingeführt haben. Im Kanton Bern und seinen Gemeinden ist dies leider nicht möglich. In der Stadt Bern kann die Stimmbevölkerung nun aber darüber befinden, ob Ausländerinnen und Ausländer mit einer Motion an den Stadtrat gelangen können und so eine Möglichkeit haben, ihre Meinung einzubringen und sich am politischen Leben zu beteiligen. Durch eine solche Partizipationsmotion wird die Mitwirkung und somit die Integration von Ausländerinnen und Ausländern in Biel gefördert. Bis jetzt können sie sie sich Vereinen (auch Parteien) anschliessen oder in Quartierorganisationen tätig sein, haben aber keine Möglichkeit, sich direkt an Wahlen oder Abstimmungen zu beteiligen oder via Initiativen oder Referenden die Stadtpolitik mitzugestalten. Die Partizipationsmotion wäre ein minimalstes Mittel, damit sich die ausländische Wohnbevölkerung, trotzdem ein Stück weit auf institutionalisiertem Weg Gehör verschaffen kann.

Gemeinderat in Nöten

Wie der Schlagabtausch zum Bericht zur Sozialdirektionsaffäre zahm beginnt, ein Feuerwerk sieht und nicht so richtig Fahrt aufzunehmen in der Lage ist.

Die Galerie ist namhaft besetzt, wie selten. Wird es interessant? Wie erinnerlich, gab es einige Wirren um den Sozialdirektor der Stadt Biel. Vor einem Jahr habe ich aufgehört, systematisch darüber zu berichten, die Geschichte entwickelte sich zur Teamentwicklungsveranstaltung des Gemeinderats. Das zeigt sich auch in den Empfehlungen der Geschäftsprüfungskommission heute (25.02.16) Abend.

Erich Fehr sass heute schon vor sieben Uhr in seinem Büro, das Blöschhaus war sonst noch dunkel. Er hat sich gut vorbereitet, redet schnell und liest ab. Im Nachhinein komme man durchaus zum Schluss, man hätte anders handeln können. Wenn er jetzt schon redet, dann versucht er das Feld zu besetzen. Das gelingt ihm offensichtlich gut. Er kündigt an, dass neun der zwölf Empfehlungen umgesetzt würden, wie der Stadtrat gestern auch schon schriftlich informiert worden ist. Der Stadtpräsident zeigt die Qualität des politisch Geprüften, seine Ausführungen sind logisch, ziemlich ruhig und gewöhnlich. Zwei Gesichter sind versteinert da vorne am Gemeinderatstisch, unbegründet, wie sich später zeigen wird. Die Zusammenarbeit im Gemeinderat sei besser geworden, dass sei eine gute Nachricht für die Bevölkerung.

Max Wiher fordert auf, auf eine weitere Schlammschlacht zu verzichten. Das wird auch geschehen, kaum jemand hat Lust dazu.

Maurice Paronitti, in gewohnt eloquenter Natur, für unsere Fraktion, spricht vom Malaise, das in der Sozialdirektion und dem Gemeinderat geherrscht habe. Es sei ruhiger geworden und man stelle fest, dass die nötige Zusammenarbeit wieder stattfinden. Trotzdem dürfen die Augen nicht geschlossen werden. Wir sind mit der GPK nicht einverstanden, die Massnahmen des Gemeinderates seien in Kenntnis der Situation damals durchaus richtig gewesen und der Sozialdirektor habe sich ja selbst beschuldigt, letztmals im Journal du Jura vom 8. Februar 2016: „C’est évident que j’ai commis des erreurs, tout comme d’autres.“

Der Grüne Sprecher stellt Führungsschwäche des Sozialdirektors fest, die nicht widerlegt worden sei. Da habe die SVP die Verantwortung nicht wahrgenommen, gute Leute aufzustellen.

Die Sprecherin der SP-Fraktion fragt sich, ob ein weiterer Bericht nicht nochmals widersprechen würde. Für sie gebe es vielleicht noch Punkte, die sie als Vorstösse bringen würden.

Es geht gesittet zu und her in unserem Parlament, die Sitzung läuft seit einer Stunde.

Reto Gugger lobt namens seiner Fraktion die Geschäftsprüfungskommission und will keine Schlammschlacht, auch er nicht. Sie werden auch keine Vorstösse einreichen, damit die Affäre zur Seite gelegt werden kann.

Adrian Dillier tritt auf und dankt der GPK, ihre Empfehlungen seien aber lauwarm. Dann geht er minutiös auf die Einzelheiten ein, widerlegt, interpretiert, empfiehlt und verurteilt. Es ist ruhig im Parlament, während er wieder „Intrige“ sagt und verschiedene persönlich angreift, jetzt sogar den Stadtpräsidenten, unmissverständlich. Sie kommen alle dran, die Intrige wird jämmerlich, die Stadt wurde in Verruf gebracht. Sie hätten politisch kriminell agiert. Stadtpräsident Fehr sei der Drahtzieher der Intrige.

Andreas Bösch legt dar, wann die GPK informiert wurde und wie sie die Aufsichtsfunktion schon früher wahrgenommen worden ist. Das sei selbstverständlich auch vertraulich.

Jetzt sind die Einzelsprecher dran. Sie sind bedächtig, besonnen. Bis auf einen: Adrian Dillier legt nach und erinnert, wie unfair der Direktionssekretär behandelt wurde. Womit er recht hat.

Erich Fehr redet namens des Gemeinderates, bedauert die Angriffe auf Einzelpersonen der Verwaltung. Die Vorwürfe seien nicht zu belegen und zu begründen. Der Gemeinderat sei gestärkt worden. Das Votum ist kurz, danach ergreift keiner mehr das Wort.

Und die Karavane zieht weiter…

Budget 2016 – zum Zweiten und Nein.

Es ist der 24. Februar 2016 kurz nach 18 Uhr. Da sitzen sie wieder, die Stadträte und fünf Gemeinderäte. Der Innocampus ist unbestritten, da sind wir über alle Fraktionen einig. Die paar kleinen Fragen und Bemerkungen tun nicht viel zur Sache.

Und dann kommt sie, die zweite Debatte zum Budget 2016. Dass der Gemeinderat die Abstimmung anders interpretiert als ich, das ist nicht weiter erstaunlich. Das ist ideologisch begründet. Der Gemeinderat hat sich nicht für das Budget eingesetzt, allen voran konnte der Stadtpräsident keinen Einfluss auf seine Fraktion gewinnen. Erich Fehr also, der den Entwurf dieses Budgets zu verantworten hatte, weil er glaubte, wir würden angreifen. Haben wir nicht getan und den Gemeinderat, den rot-grünen, unterstützt. Damit sind wir vor dem Volk eingegangen. Ich habe Kröten geschluckt und das hat nichts gebracht.

Daraus haben die Mitglieder der Mitte-Rechts Allianz der NHS-Debatte nicht alle den gleichen Schluss gezogen.

Mein Votum:

Herr Vizepräsident, Stadträtinnen und Stadträte
Entgegen dem Stadtrat Hamdaoui glaube ich nicht, dass das Volk als Geisel genommen werden kann. Es ist souverän, wählt und stimmt ab. Es spielt, wie ich in der Jugend auch, gerne Eile mit Weile. Es hat diesen Gemeinderat und diesen Stadtrat gewählt und muss manchmal korrigieren. Das hat es getan. Wir versuchen, das Zeichen zu lesen und tun das aus unserer je eigenen politischen Perspektive. Hier ist meine Interpretation des Abstimmungsresultates.
 
Fakten. Hätten 9% mehr der ersten Variante (ein Zehntel Steuererhöhung) zugestimmt, wäre sie angenommen worden. Der zweiten Variante (eineinhalb Zehntel) fehlten 21%.
 
Auch in der Stichfrage zeigt sich dieses Bild: Im Verhältnis 2:1 wird der kleineren Steuererhöhung der Vorzug gegeben. Daraus lässt sich eines leicht ableiten: Keine Steuererhöhung!
 
Allerdings haben nur 30% an der Abstimmung teilgenommen. Den Übrigen ist es einerlei, ob die Stadt ein Budget hat oder nicht.
 
Dem Stadtpräsidenten, der Baudirektorin, dem Sozialdirektor und dem Schuldirektor offenbar auch. Wobei, dem Beat Feurer seine SVP-Fraktion hat das Budget unterstützt, trotz Steuererhöhung und auch gegen ihren Willen. Ganz im Gegensatz zur Barbara Schwickert, ihre Grüne Parteikolleginnen und Parteikollegen haben an vorderster Front für ein doppeltes Nein zum Budget des Gemeinderates und damit auch ihrer Gemeinderätin kämpften. Dass Gemeinderat Némitz sich nicht für die Finanzierung von Kultur und Schule einsetzte, mag mit viel gutem Willen verständlich sein. Dass aber Stadtpräsident Fehr die Finanzdirektorin Steidle alleine kämpfen liess und seiner Fraktion keine Zustimmung zur Steuererhöhung abringen konnte, das wäre in der Ära Stöckli nicht vorgekommen. Der Stadtpräsident findet, es sei Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren und das Departementalprinzip müsse hochgehalten werden. Ich finde, er hätte sich in seiner Fraktion wirkungsvoll einsetzen können. Sie haben also alle an sich selbst gedacht, sie wollen von ihren Leuten wiedergewählt werden. Das ist verständlich.
 
Und so ist auch das vorliegende Budget verständlich. Keine der Massnahmen, die zur Verbesserung geführt haben, verlangte einen unangenehmen Entscheid. Man kann es schönreden oder aus Angst zustimmen. Man kann die Last des Personals, und das tut mir wirklich leid, als Grund nehmen. Ich kann das nicht. Ich sehe kein Budget mit dem Willen, das strukturelle Defizit wirklich anzugehen. Kein Wille, die Schulden heute zu vermeiden, denn das sind Lasten auf den Schultern unserer Kinder. Keine Voraussicht, was mit der Unternehmenssteuerreform droht, ausser der flapsigen Bemerkung, es wäre ungerecht, wenn wir Privaten das Loch alleine stopfen müssten. Das werden wir aber. Entweder direkt oder über die Arbeitslosenkasse und die Sozialhilfe, und das tut weh.
 
Nein, den zusätzlichen Ausgaben kann nicht zugestimmt werden. Der Steuererhöhung unter diesen Umständen auch nicht, denn jetzt muss dieser Rat und muss der Gemeinderat erst einmal zeigen, dass er nicht einfach kreative Einnahmepolitik und steigende Belastung will, sondern eine verantwortungsvolle Haushaltpolitik.
 
Im Bewusstsein der Diskussionen in den Fraktionen und im Bewusstsein, dass das drohende Notbudget und die wenig fruchtbare Zeit ohne Budget die nötigen Ja-Stimmen an der Urne generieren werden, werden von den Gegnern keine Änderungsanträge gestellt.
 
Ich bin nicht zufrieden. Ich lehne das vorliegende Budget ab.“
Die Diskussion wird durch einen Ordnungsantrag abgeschlossen, die Finanzdirektorin präsentiert ihre Überlegungen, launig und versöhnend. Meine Überlegungen, legt sie dar, brächten nicht, zurückblicken auf die Abstimmung sei unsinnig. Jetzt schon, Silvia Steidle, jetzt und in deiner Rolle sicher. Dann führt eine Intervention auf ein Zurückkommen auf die Rednerliste. Peter Bohnenblust zeigt unsere Kompromisse in NHS und erster Budgetdebatte. Was Silvia Steidle provoziert, nochmals darauf zu bestehen, dass jetzt die Vergangenheit liegen gelassen werden soll. Niklaus Balzer weist darauf hin, dass meine Forderung nach keiner Steuererhöhung insofern falsch sei, als dass damit die Schulden nur noch wachsten würden. Ja, das ist so. Allerdings ist eine Bedingung gesetzt: Zeigt den Willen zu Einschnitten! Auch die nächsten Votanten nehmen meine Argumente auf und widersprechen.
Nach der Pause wird es mit den Direktionen weiter gehen und das Budget schliesslich ans Volk überwiesen werden.