Wie der Stadtrat über gesundes Essen redet und den Rückzug der Initiative dazu zu honorieren weiss.
Es ist wieder Stadtrat – und ja, ich habe mein schlechtes Wahlresultat einigermassen weggesteckt. Heute, 12.10.16, gibt es vor dem Budget bei ziemlich gelichteten Reihen – die FDP ist vollständig da – eine Auseinandersetzung um das Essensregelement (Reglement über die gesunde Ernährung in den städtischen Betreuungsstrukturen / Gemeindeinitiative „Für eine gesunde Ernährung“). Eigentlich würde sich das Thema ja lohnen. Aber die Vorlage des Gemeinderates kommt auf den letzten Drücker, das Parlament hat nicht wirklich Zeit, vertieft darüber zu diskutieren. Eigentlich wollte die Initiative eine gesunde Ernährung in den Kindertagesstätten, Tagesschulen und Betagtenheimen. Aber es geht auch lokales Kochen und seeländische Produkte. Ein gutes Essen ist auch saisongerecht. Das wird zwangsläufig zu viel Kohl und Kartoffeln im Winter führen, falls das Ganze nicht wie üblich nicht so streng gehandhabt wird.
Soweit so gut. Einerseits kann das viel kosten, weil Küchen sowie Köchinnen und Köche heute vor allem in den Tagesschulen fehlen. Anzuerkennen ist die Arbeit der Verwaltung, die in kürzester Zeit geleistet werden musste. Jedoch sagt das Reglement wenig bis nichts aus über die finanziellen Folgen und die praktische Umsetzung ist noch nicht durchdacht. Ferner werden Dritte von der Produktion der Mahlzeiten ausgeschlossen. Deshalb bringen die Fraktionen FDP/PRR/EVP/EDU und BDP/BVP/CVP einen Gegenentwurf zur Initiative, der einerseits die Wirkung auf die städtischen Einrichtungen einschränkt und andererseits die industrielle Produktion nicht von vorneherein ausgeschlossen ist. Diese Fraktionen können sich aber mit kleinen Änderungen im Reglement auch vorstellen, dieses passieren zu lassen.
Aus der Sicht der Grünliberalen sei die „kalte Linie“ (kalt angeliefert und aufgewärmt) nicht so ungünstig, wie die Initiantinnen und Initianten das darstellen. Auch die städtische zentrale Grossküche könnte ein Weg sein, aber es ist nicht klar, was diese Lösung bringt und kostet. Deshalb sollte er aus dem Reglement vorläufig gestrichen werden.
Die SP stört es nicht, dass die Kosten nicht klar sind. Es müsse nur klar sein, was wir wollen, die Finanzierung sei später zu regeln. Sie wollen auch die „kalte Linie“ weiterhin ermöglichen.
In der Zwischenzeit sind immer mehr Parlamentarierinnen und Parlamentarier gekommen. Am Rednerpult wird der Zeitdruck kritisiert. Angesicht der vielen noch nicht abgeklärten Einzelfragen und der noch nicht erfassten Zusammenhängen, sind die Zweifel kaum auszuräumen.
Dann gehen die Fraktionen essen, hoffentlich gesund.
Danach versucht der zuständige Gemeinderat zu erhellen und zu erklären: Was wir alle wollen, sei doch gute Ernährung, die nachhaltig und lokal erzeugt wird. Auch wolle der Gemeinderat, dass die Kosten nicht explodieren, weder für die Eltern noch für die Stadt. Eine zentrale Produktion in Biel mit „kalter Linie“, das sei die Lösung. Mit dem Initiativkommitee wurde lange darüber diskutiert und so seien diese heute bereit, die Initiative zurückzuziehen, wenn das Reglement genehmigt würde. Diese Diskussion und die juristischen Abklärungen haben Zeit gebraucht. Deshalb liegt die Vorlage erst heute im Parlament, das nicht mehr Zeit zum Nachdenken bekommen habe. Auch werde es weiterhin Aprikosen geben und der Kohl werde zu günstigsten Konditionen in grossen Mengen eingekauft, gekocht und gekühlt.
Dann geht es ins Reglement. Der Antrag der Grünliberalen ist der einzige, der bleibt. Sie machen denn auch ihre Zustimmung zum Reglement davon abhängig. Das sind jeweils die interessanten Momente in den Debatten: Wie muss in den abhängigen Abstimmungen Position bezogen werden, damit den eigenen Interessen am besten gedient ist? Stefan Kaufmann fragt in Richtung Initiativkommitee, ob sie mit dieser Änderung auch zurückziehen würden. Tun sie selbstverständlich nicht. Sandra Gurtner-Oesch modifiziert am Rednerpult den Grünliberalen Antrag auf seinen Kern, womit die zentrale Küche auch von einem anderem betrieben werden könnte. Darin ist der Bieler Stadtrat schwach: Solche Lösungen sollten in der GPK oder spätestens während den Fraktionssitzungen formuliert werden. Gleichzeitig ist es aber auch eine Stärke: Auf die Beratungen wird reagiert, die Debatte kann die Meinungen verändern. Nach dem Sitzungsunterbruch wird die Änderung vorgelesen, inklusive Übersetzung, wenn auch holprig. Die Stimmung ist etwas nervös. So kommt Balzer mit einem cleveren, aber nicht umsetzenbaren Vorschlag, den er nach kurzem Schlagabtausch zurückzieht. Dann geht es Artikel für Artikel mit Abstimmungen weiter. Selbstverständlich mit dem üblichen Geplänkel um kleine Ränkezüge hinsichtlich der Inkraftsetzung.
Wer sich vor Augen hält, dass der Gemeinderat auch ohne Reglement genau dies tun könnte, müsste den Vorteil eines Erlasses mit lauter Kann-Formulierungen .
Tags darauf werden das Reglement beschlossen und die Initiative zurückgezogen. Über die Kosten werden wir wachen müssen, sie werden sicher höher sein als heute.