Es ist ein schöner Juniabend, die erste Motion im Bieler Stadtrat wird vor 18.15 Uhr überwiesen. Neben mir sitzt erstmals Bernhard Leuenberger, er hat den nach Port gezogenen Urs Brassel ersetzt. Er sitzt und hört zu, jetzt spricht Natasha Pittet über die Antwort zu ihrer Cannabis-Intervention. Die Grüne, die findet ein hässliches Rauscherlebnis sei doch heilsam. Die überparteiliche Interpellation von Bohnenblust zum Controlling der kürzlich beschlossenen Massnahmen kommt vorbei, die Fenster des Stadtratssaals sind offen, ein schöner Abend im Kreise der politisch engagierten Bieler Bürger.
Vor der Stadtratssitzung hat der Stadtpräsident das neue Bieler Jahrbuch vorgestellt. Der Artikel von Reto Wissmann „Sozialhilfe dominierte 2014 die Bieler Politik“ (Bieler Jahrbuch 2014, S. 90-92) sei ein mutiges Experiment meint er. Nun, der Artikel kommt in üblich Wissmann’scher Manier fundiert, sachlich und abgerundet daher, ganz der journalistischen Arbeit verpflichtet. Immerhin zitiert er dann doch des Stadtpräsidenten Wort im Bieler Tagblatt: „Wir haben ein Vertrauensproblem im Gemeinderat. Beat Feurer muss jetzt sofort und radikal sein Verhalten ändern.“ Damit hat er den Untertitel – „Viel Polemik zu einem wichtigen Thema“ – unterlegt. Das hat Mut gebraucht, denkt der Stadtpräsident wohl. Sei’s drum, der Artikel ist sicher nötig, es ist eine wichtige Auseinandersetzung gewesen, auch wenn der Auslöser und Kondensationspunkt – die FAI-Geschichte – fehlt.
Zu Beginn der Stadtratssitzung beklagt sich die Baudirektorin über die explizite Begrenzung der Ausgaben für das Palace. Sie meint, sie stehe hier vor einer grossen Aufgabe. Heute hat sie durch das Jahrbuch einen Übernahmen bekommen, David Gaffino lieferte den Steilpass dafür im Artikel „Les «radium girls» de Bienne“ (Bieler Jahrbuch 2014, S. 59): „Le 2 juin 2014, les autorités fédérales, cantonales et communales réunies ont informé les médias et la population au sujet de la découverte, en décembre 2012, de déchets radioactif issus d’une ancienne décharge biennoise“. Die Entdeckung war zuerst geheim gehalten worden, ein Akt, den die Grüne sicher in moralisches Dilemma gestürzt hat, verlangt doch gerade ihre Partei, dass Behörden über Gefahren immer und sofort informieren müssen. Zumal Gaffino beschreibt, dass diese Altlasten schon lange bekannt waren. Dafür gibt es auch einen Beweis in meiner eigenen Geschichte: Mein Grossvater liess seiner Tochter Mitte 1962 die Leuchtpunkte aus ihrer Bieler Uhr entfernen, weil sie das erste Mal schwanger war. Jetzt gehört die Baudirektorin dazu, auch wenn sie keine Leuchtpunkte auf Zifferblätter appliziert, sondern das unwirtschaftliche Projekt der Erneuerung des Palace kunstvoll in die Bieler Landschaft zu setzen versucht.
Die Fahrenden werden Thema. „Ich kann euch sagen, wir machen“, kommt es vom Sozialdirektor. Es sei Vieles nicht möglich. Der Rat will nicht so wie er, das spürt man. Aber der Postulant wird seinen Vorstoss zurückziehen. Falsch beraten, da sein Anliegen wahrscheinlich nicht motionsfähig ist.
Es ist 19 Uhr. Bernhard Leuenberger schaut sich auf seinem Mobile den Sitzplan an. Die Ratssekretärin spricht sich mit dem Stadtpräsident ab, der Schuldirektor grüsst, wir werden uns noch sprechen. Die Fenster sind offen, der Eidgenosse will mehr Bussen für die Fahrenden, der Ratspräsident wartet, den Kopf aufgestützt, er lächelt, Fischer kommt in Fahrt, er kann der Baudirektorin sagen, wo das Wasser versichert: Da kommt Wasser aus dem Hydranten, wenn die Fahrenden da sind, man wird sogar angeschnauzt, wenn man darauf hinweist. Jetzt sind sie herausgefordert, eine Redeliste wird erstellt. „Es ist nicht schön im Bözingenfeld“, wird in den Rat gerufen. Dafür sind wir da.